Ganzheitliche Paarberatung oder “Warum googeln allein nicht hilft”

Wenn Paare sich zu mir auf den Weg machen, ist es in der Regel ernst: Die Liebe scheint abhanden gekommen, es gibt mehr Streit als früher, aber weniger Aufmerksamkeit und körperliche Nähe. Googelt man nach “Paarberatung” findet man alle möglichen Theorien und Übungen: “Das Dreieck der Liebe” von Robert Sternberg, der “ARE-Fragebogen” von Sue Johnson oder das Riemann/Thomann Modell.All diese Modelle haben gemein, dass man mit ihnen einen Zustand, sozusagen den “Status quo”, beschreiben kann. Aber wie helfen sie dabei, dort wieder herauszufinden? Sicher, es ist gut, zu reflektieren und über ein Modell ins Gespräch zu kommen. Es braucht nach meiner Erfahrung aber tiefergehende Reflektion.

 

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“Paarprobleme sind oft die Summe der Einzelprobleme”

Stellen Sie sich ein Paar vor, sagen wir Mitte 30. Das erste Kind ist da, nun wird der Mann arbeitslos. Die Monate vergehen und wo er sich anfangs über die Abfindung und die Zeit mit der Familie freut, kommen ihm irgendwann Zweifel. Finde ich bald einen Job? Reicht das Geld? Es mischen sich Selbstzweifel mit Existenzängsten und er wird dadurch dünnhäutig und ängstlich. Als Kompensation fängt er an, seine Umwelt, allen voran seine Frau, zu kritisieren.

Oder nehmen wir ein Paar, bei dem einer der beiden ein zwanghafte Persönlichkeitsstörung hat: Die Welt ist für diese Menschen dann in Ordnung, wenn Sie jederzeit das Gefühl haben, das eigene Leben und das der anderen bestimmen und kontrollieren zu können. Macht der Partner das irgendwann nicht mehr mit, heißt es “Ich fühle mich nicht gesehen” und vom anderen “Ich fühle mich eingeengt”.

In beiden Fällen lautet die klassische Intervention oft: Wir visualisieren einmal die Wünsche der beiden Partner und üben neue Kommunikationsstrategien ein. Aber lässt sich damit das Problem wirklich lösen? Ich glaube nicht.

 

Die Bestandsaufnahme

Im Rahmen der Paarberatung ist mir ein ganzheitlicher Ansatz wichtig. Schon in der ersten Sitzung frage ich nicht nur, was das Paar beschäftigt, sondern auch nach den Randbedingungen. Und das kann alles sein: Stress im Job, eine zu kleine, zu laute Wohnung, blöde Nachbarn, etc.  Ich möchte wissen, welche Kräfte an dem Paar zerren. Was davon, ließe sich leicht ändern (beispielsweise eine Putzhilfe gegen die ständigen Streitereien um Sauberkeit) und was mittelfristig (ein neuer Job, eine neue Wohnung)?

Doch auch auf der persönlichen Ebene lohnt sich oft ein Hinschauen: Jeder Partner kann sich fragen: Bin ich gerade mein bestes Selbst? Eine Frage, die etwas Mut braucht, könnte sein: Wäre ich in meiner aktuellen Verfassung gerne mit mir selbst befreundet? Über eine Reihe von Fragen dieser Art kommen wir Entwicklungspotenzialen auf die Spur.

 

Und was ist mit der familiären Prägung?

Wir haben es vielleicht schon in der Schulzeit erlebt: Bei den Eltern der Klassenkameradinnen und Klassenkameraden galten andere Spielregeln als zuhause. Einiges war entspannter als bei uns in der Familie, anderes vielleicht strenger. Auch die Art miteinander zu reden, war individuell bei den Familien unterschiedlich. Während die einen mit offenem Visier scheinbar hitzig stritten, gingen andere weniger offen, dafür höflicher miteinander um. Wenn wir solche Kommunikationsmuster ins Erwachsenenalter übernehmen und dann auch jemanden treffen, der andere Muster verinnerlicht hat, dann kann es zu Irritationen kommen. Dabei ist dieser Konstellation noch relativ gut zu begegnen. Über entsprechende Übungen können sich beide schnell annähern.

Doch was ist mit tiefer sitzenden Prägungen, aus denen sich negative Glaubenssätze manifestiert haben. Stellen wir uns wieder ein konkretes Paar vor: Nehmen wir an, der Mann sei bei einer bedürftigen Mutter aufgewachsen, die ihre Sorgen bei ihm als Kind von, sagen wir, 10 Jahren abgeladen hat. Wird der Mann erwachsen, sehnt er sich vielleicht nach einer starken, selbstbewussten Frau, die ihr Leben im Griff hat. Nehmen wir gleichzeitig an, die Partnerin des Mannes ist in einem Milieu aufgewachsen, wo es Liebe nur gegen Leistung gab. Diese Frau hat vielleicht gelernt, dass sie alles tun muss, damit andere zufrieden sind – und sie geliebt wird. In dieser Konstellation scheint die Paardynamik aussichtslos: Sobald sie es ihm recht machen will und ihn fragt: „Was brauchst Du denn von mir?” wird er an seine schwache Mutter erinnert. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als dass seine Partnerin stark und klar kommuniziert und agiert: “Klare Ansagen!”. Nicht selten fühlt der Mann Verachtung für die Schwäche seiner Frau.

Natürlich können wir im Rahmen der Paarberatung Streitspiralen sichtbar machen und über alternative Ausstiegsszenarien aus der Spirale diskutieren. Wirklich hilfreich ist, wenn sich das Paar über die beiden kindlichen Prägungen klar wird. Über ein entsprechendes Programm können wir diese Glaubenssätze aufarbeiten und so an der Wurzel des Problems arbeiten anstatt nur an der Oberfläche.

 

Was verstehe ich unter ganzheitlicher Paarberatung?

Mein ganzheitlicher Ansatz nimmt die individuellen Probleme der beiden Partner auf. Auch wenn oft eine begleitende Psychotherapie sinnvoll ist, können wir erste Schritte in die richtige Richtung schon im Rahmen der Paarberatung unternehmen. Ich möchte immer wissen: Was zieht an dem Paar, was raubt Energie und nervt? Ist es die dunkle, kalte und zu kleine Wohnung? Die nervigen KollegInnen bei der Arbeit? Oder das Kind mit der Lernbehinderung? In solchen Fällen muss es darum gehen, die Resilienz des Paares und jedes Einzelnen zu stärken.

Liegt das Problem tiefer (beispielsweise eine Angststörung oder ein Zwang) dann wissen wir, Paarberatung allein ist nicht die Lösung. Viele der Interventionen bzw. Übungen sind nachweislich hilfreich, aber bei psychischen Störungen eben begrenzt.

Zu meinem ganzheitlichen Ansatz gehört auch zu sagen: Stopp, hier kommen wir nicht weiter. Bitte, liebes Paar, macht erst einmal weiter mit Basisarbeit an Euch.