Über Konflikte
Dieses Thema ist wohl jedem bekannt: Am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und eben auch in Beziehungen gibt es Unterschiede bei Einstellungen, Erwartungen, Interessen oder Zielen. Es kommt zum sog. „Konflikt“. In diesem Beitrag will ich einige Punkte hervorheben, die für jeden und jede wichtig sind, die sich akut oder immer wieder in Konfliktsituationen befinden – oder diese vermeiden.
Inhaltsverzeichnis:
- Definition – mit Überraschung
- Subjektivität und Selbstzweifel
- Leben heisst Widersprüche verwalten
- Erwartungen
- Konfliktdämonisierung
- Dialog vs. Diskussion
- Der richtige Zeitpunkt für Konfliktgespräche
- Konfliktgespräche führen
- Mobilisierung vs. Lösung
- Ziel des Konflikts
- Fazit
Definition – mit Überraschung
Das Wort „Konflikt“ kommt vom lateinischen Verb con-fligere, was soviel bedeutet wie “ kämpfen“, „aneinandergeraten“ oder „zusammenprallen“. Interessanterweise bedeutet es aber „zusammenbringen“, „vereinigen“. D.h. der ursprüngliche Wortsinn deutet darauf hin, dass Konflikte aus dem Aufeinandertreffen von Kräften oder Ideen entstehen. Man muss offenbar irgendwas miteinander zu tun haben, damit ein Konflikt entstehen kann. Hat man nichts miteinander zu tun, gibt es auch keinen Konflikt.
Subjektivität und Selbstzweifel
In einer ruhigen Minuten stimmen wir wahrscheinlich alle zu: Wir sehen die Welt gefärbt durch die Brille unserer Sozialisierung, unserer Umgebung, in der wir aufgewachsen sind, der Werte und Gepflogenheiten. Gehen wir einen Schritt weiter, heisst das, wir betrachten die Realität subjektiv, d.h. mit eben dieser Schablone. Höre ich Sie nicken? Konsequenterweise gestehen wir allen anderen Menschen genau die gleiche subjektive Beurteilung zu – nur eben mit deren Schablone. Geben Sie zu: Das akzeptieren Sie nur an guten Tagen ;-). Im Konfliktfall hören wir uns sagen: „Wie bescheuert!“. Hier ist es gut, innezuhalten und zurückzutreten, herauszuzoomen und sich an unsere eigenen subjektive Begrenzung zu erinnern. Also: Zweifeln Sie am Anderen, aber bitte vor allem an sich selbst.
Ein Perspektivwechsel beginnt mit der Erkenntnis, dass Menschen also alle unterschiedlich wahrnehmen, denken, handeln und Zusammenhänge verstehen. Kurz gesagt: Jeder hat seine eigene Vorstellungen vom Leben und Sicht auf die Welt. Mehr noch: Die Ergänzung der eigenen Sicht durch andere Perspektiven bereichert Sie!
Die Fähigkeit und Bereitschaft, die Perspektive wechseln zu können, ist die Grundlage für gelingendes Zusammenleben und Zusammenarbeit. Für eine gute Konfliktfähigkeit reicht es zu akzeptieren, dass die eigenen Erfahrungen und Interessen nicht auf alle übertragbar sind.
Leben heisst Widersprüche verwalten
Die Doppeldeutigkeit in der Welt ist zugegebenermaßen manchmal schwer auszuhalten: ob in den Bereichen Technik und Ethik, Kulturelles und Soziales, Politik und Gesellschaft. Schlagen Sie die Zeitung auf, dann wissen Sie, was ich meine. Doppeldeutigkeit und Widersprüche finden wir am Arbeitsplatz, in Paarbeziehungen aber auch in uns selbst. Ähnlich wie beim Selbstzweifel ist es gut, sich bewusst zu machen, dass wir von einem widerspruchsfreien Idealzustand weit entfernt sind – wenn er denn überhaupt erreichbar ist. Trainieren Sie also schon mal Ihre „Ambiguitätstoleranz“. Damit ist die Fähigkeit gemeint, mit den Widersprüchen der Welt – auch der eigenen und mit denen Ihres Partners – leben zu können.
Erwartungen
Ein Konflikt entsteht, wenn unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen – eine Situation, die oft als unangenehm empfunden wird. Doch was genau versteht man unter Erwartungen? Sie sind zukunftsgerichtete Annahmen, die maßgeblich von früheren Erfahrungen beeinflusst werden.
Wir unterscheiden drei Typen:
- Unausgesprochene Erwartungen: Diese Erwartungen sind uns oft kaum bewusst und deshalb teilen wir sie selten mit. Wir nehmen sie oft nicht einmal als Erwartungen wahr.
- Uneingestandene Erwartungen: Hierbei handelt es sich um Wünsche, die wir zwar hegen, aber nicht äußern – sei es aus Scham, Unsicherheit oder der Hoffnung, dass der andere sie von selbst erkennt. Manchmal verdrängen wir solche Erwartungen sogar, weil sie uns peinlich sind. Dennoch tragen wir sie in uns und sehnen uns danach, dass sie erfüllt werden.
- Unbewusste Erwartungen: Diese liegen tief verborgen in unseren Erinnerungen, Erfahrungen oder gar Traumata, oft über Jahrzehnte unerkannt. Wir äußern sie nicht, weil wir uns ihrer nicht bewusst sind und sie auch nie hinterfragt haben.
Sie sehen vielleicht schon anhand der obigen Aufstellung: Quell vieler Konflikte ist Unausgesprochenes oder sogar Unbewusstes. In der Regel haben wir weder gelernt, uns selbst über unsere Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen klar zu werden, noch, offen über sie zu sprechen. Stattdessen neigen wir dazu, sie nach außen, beispielsweise auf den Partner zu richten – oft in Form von Aggression. Wenn wir darüber sprechen, geschieht dies häufig im Ton der Anklage. Psychologen sprechen von “ Externalisieren“, d.h. unsere eigenen Bedürfnisse treten meist in einer grimmigen Gestalt zutage: als Vorwurf.
Konfliktdämonisierung
Wie wir in den vorherigen Abschnitten gesehen haben, basieren Konflikte oft auf unerfüllten Erwartungen, die wiederum auf unseren eigenen, oft unbewussten Bedürfnissen beruhen. Wer nicht trainiert hat, seine Bedürfnisse zu formulieren oder sich dieser überhaupt bewusst zu werden und für sie einzustehen, der meidet in der Regel den Konflikt. Wenn uns aber die Übung fehlt, dann ist es nicht verwunderlich, dass wir es auf eine Weise tun, die den Konflikt erst richtig eskalieren lässt. Und das ist dann auch der Grund, warum wir in Konflikten etwas Negatives sehen.
Dialog vs. Diskussion
Ein Dialog ist tatsächlich magisch! Im Gegensatz zur Diskussion, bei der es darum geht, argumentativ zu siegen, sind wir beim Dialog wirklich neugierig. Sie wollen sich an der Andersartigkeit Ihres (Gesprächs-)Partners bereichern. Mit dem demütigen Selbstzweifel im Hintergrund üben Sie also „neu-gierig“ zu sein. Teilen Sie doch Ihre Vorurteile und Glaubenssätze mit einander und werten Sie die des anderen nicht ab. Es geht nicht darum, den anderen davon zu überzeugen, dass nur Sie die Wahrheit gepachtet haben.
Leitfragen können auch sein: Wieso habe ich überhaupt diese Meinung? Was hat mich dazu gebracht, so zu denken? Es ist doch interessant zu prüfen, wie unsere Vorstellungen, Ideen, Wünsche und Vorlieben entstanden sind. Teilen Sie dies mit Ihrem Partner!
Der richtige Zeitpunkt für Konfliktgespräche
Wenn in Ihnen Gedanken entstehen, von denen Sie ahnen, dass sich daraus ein Konflikt anbahnen kann oder dieser schon manifestiert hat: Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Partner so früh wie möglich – aber nicht früher! Physiologisch dauert es etwa 10 Minuten, um vom Gefühl Über-Erregung herunter zu kommen. Bis zur Aufnahme des Gesprächs sollten noch 1 bis 2 Stunden vergehen. Fragen Sie sich vorbereitend: Welches Bedürfnis steckt hinter meinen Emotionen?
Und ganz wichtig: Hören Sie auf SMS, WhatsApp oder EMails zu schreiben!!! Sie haben es wahrscheinlich schon festgestellt: Hilft nix und macht es nur schlimmer.
Gut und für beide Seiten ohne Gesichtsverlust auszuhalten, ist es, auf den anderen zu zu gehen. Hier eine Formulierungshilfe: „Es tut mir leid, wie es gelaufen ist. Es ist mir nicht egal. Ich möchte mich mit Dir weiter über unsere unterschiedlichen Sichtweisen austauschen“.
Es kommt oft zu Trennungen, weil einer oder beide Partner die schlechten Gefühle aufstauen. Daher ist es wichtig, nicht aus der Übung zu kommen. So müssen Sie nicht soviel Anlauf nehmen, um dann im schlimmsten Fall über das Ziel hinaus zu schießen.
Lösen Sie sich von altem Ärger. Wenn Sie sich bei einem „Jetzt reicht’s!“ ertappen, ist das ein Hinweis darauf, dass sie nicht erst seit kurzem ein Ärgerkonto führen.
Erfahrung aus der Paartherapie (diesen Dialog höre ich öfter): „Unsere Beziehung ist schon länger tot.“, „Wann ist sie denn in etwa gestorben?“, „Etwa in dem Moment, wo wir aufgehört haben, uns zu streiten.“
Oft kippt der heiße Konflikt in ein kaltes Anschweigen.
Konfliktgespräche führen
Viele dieser Punkte haben Sie sicher schon einmal gehört. Die Klärung erfolgt mit sieben Grundpfeilern:
- Du/Ich – Ich Botschaft vs. Du-Beschuldigungen
- Person/Problem – „Du bist so“ vs. „Du verhältst Dich so“.
- Allgemein/Spezifisch – Vermeidung von immer, nie, typisch. Bleiben Sie spezifisch!
- Beschuldigen/Ändern – Das klärende Gespräch will ändern, nicht anklagen. Klärung soll mobilisieren.
- Vergangenheit/Zukunft – „Ursache suchen“ heisst „Schuldige produzieren“
- Eigener Vorteil/Gemeinsamer Vorteil – Steigen Sie nicht in ein Konfliktgespräch ein, wenn Sie Ihren Vorteil behalten wollen (Rechthabenm Unterhaltung, Rache)
- Trennung/Beziehung – Haben wir eine gemeinsame Zukunft oder nicht?
Mobilisierung vs. Lösung
Kennen Sie noch Mobiles, wie wir sie als Kinder hatten? Tippen Sie ein Element an, dann gerät das ganze Mobile in Bewegung. Alles bewegte sich, kein Element blieb ruhig an seiner Position. Ähnlich ist es mit Konflikten. Sobald Sie anfangen sich auszutauschen, gerät das ganze (Beziehungs-)System in Bewegung. Es geht also bei der Konfliktarbeit nicht vordringlich um die Lösung des Konfliktes (im Sinne von Verschwinden), sondern darum, ihn aufzuknoten, den Aggregatzustand des Konflikts zu verändern, so dass er sich abkühlen kann. Vor allem aber, dass Sie als Konfliktparteien sich wieder näher kommen, sich vielleicht zum ersten Mal sehen, mit all Ihren Verletzlichkeiten und Bedürfnissen. Zusammenprallen, erinnern Sie sich an die Definition von oben?
Sie haben natürlich auch immer die Wahl, sich auf einen Konflikt gar nicht einzulassen, quasi ein Unbeteiligter zu bleiben. Eine Freiheit, an die Sie sich immer erinnern sollten. Lohnt sich die Anstrengung, wenn Sie den Aufwand und den gestörten Seelenfrieden gebenüber stellen?
Oder Sie können entscheiden, den Konflikt physisch zu verlassen. Oft nicht die beste Wahl, aber immerhin eine Option.
Ziel des Konflikts
Das Ziel des Konflikts ist nicht unbedingt der Konsens, sondern das Weitermachen – ein vernünftiges Weitermachen trotz aller Differenzen. Die erklärte Absicht der Beteiligten muss es sein, zu kooperieren, obwohl man sich in der Sache nicht einig ist.
Dies ist geknüpft an folgende Voraussetzung bzw. Grundhaltungen:
- Sie wollen gemeinsam weitermachen.
- Sie wollen den anderen als gleichberechtigt anerkennen.
- Sie wollen die Perspektive des anderen als bereichernd erleben.
- Sie wollen dem anderen entgegenkommen.
- Sie wollen Ihre eigene Position als eine unter vielen relativieren.
Fazit
Konfliklösung ist keine Technik. Es geht um eine Haltung. Und um die Erkenntnis, dass wir durch die negative Besetzung des Begriffs, Konflikte tendenziell vermeiden und daher wenig konfliktfähig sind. Doch wenn wir Doppeldeutigkeit aushalten, wenn wir erkennen, dass unsere eigenen Wahrheiten subjektiv sind, wenn wir eine Dialogkultur üben und etablieren, in der wir uns reif austauschen können, dann sind sind Konflikte Chancen für einen Neubeginn. Konflikt vermeiden hiesse (gemeinsame) Zukunft vermeiden.