Unsichere Bindungstypen: Wenn Nähe zur Herausforderung wird

Manche Menschen fühlen sich in Beziehungen schnell eingeengt. Andere haben das Gefühl, ständig um Aufmerksamkeit kämpfen zu müssen. Wieder andere sehnen sich nach Nähe, aber ziehen sich zurück, sobald es wirklich verbindlich wird.

Solche Muster sind häufig kein Zufall – sie haben oft tiefere Ursachen. Die Bindungstheorie, ursprünglich entwickelt von dem britischen Psychologen John Bowlby, geht davon aus, dass unser Bindungsverhalten bereits in der frühen Kindheit geprägt wird. Das bedeutet: Wie wir gelernt haben, mit Nähe, Vertrauen und Trennung umzugehen, beeinflusst oft noch Jahrzehnte später unser Verhalten in Partnerschaften.

Doch die gute Nachricht ist: Bindungsverhalten ist veränderbar. Wer die eigenen Muster erkennt, kann daran arbeiten, sicherere und gesündere Beziehungsformen zu entwickeln – zum Beispiel durch Selbstreflexion, psychologische Beratung oder Therapie.


Was bedeutet „unsicherer Bindungsstil“?

Ein unsicherer Bindungsstil beschreibt eine Beziehungserfahrung, bei der ein Mensch – meist schon als Kind – gelernt hat, dass Nähe nicht immer zuverlässig, sicher oder berechenbar ist. Im Erwachsenenalter zeigen sich diese frühen Erfahrungen dann häufig in bestimmten Verhaltensmustern – insbesondere in Partnerschaften oder engen Freundschaften.

Dabei unterscheidet man drei Hauptformen unsicherer Bindung:


1. Unsicher-vermeidender Bindungsstil

Menschen mit diesem Bindungsmuster neigen dazu, ihre Gefühle zurückzuhalten. Nähe wird oft als belastend empfunden – selbst wenn ein Wunsch danach vorhanden ist.

Typische Merkmale:

  • Emotionale Zurückhaltung: Nähe wird vermieden, Offenheit fällt schwer.

  • Starke Betonung von Unabhängigkeit: Hilfe annehmen oder Schwäche zeigen ist unangenehm.

  • Rückzug bei Konflikten: Anstatt sich mit Problemen auseinanderzusetzen, erfolgt oft ein Rückzug.

  • Distanz trotz Zuneigung: Auch wenn Liebe empfunden wird, bleibt sie häufig unausgesprochen oder wird kaum gezeigt.

Beispiel:
Ein Partner oder eine Partnerin zeigt kaum emotionale Reaktionen, wirkt kühl oder desinteressiert – obwohl innerlich durchaus Zuneigung vorhanden ist. Gespräche über Gefühle werden vermieden oder abgewehrt.


2. Unsicher-ambivalenter Bindungsstil

Hier steht ein starkes Bedürfnis nach Nähe im Mittelpunkt – begleitet von ständiger Sorge, diese Nähe wieder zu verlieren.

Typische Merkmale:

  • Starke Abhängigkeit vom Gegenüber: Bestätigung wird immer wieder eingefordert.

  • Eifersucht und Verlustangst: Die Angst, verlassen zu werden, ist oft sehr präsent.

  • Stimmungswechsel: Zwischen Anhänglichkeit und Kritik kann es starke Schwankungen geben.

  • Schwierigkeiten mit klaren Grenzen: Eigene Bedürfnisse und die des Partners verschwimmen leicht.

Beispiel:
Ein Mensch mit diesem Bindungsstil könnte sehr liebevoll und anhänglich sein – aber auch schnell verletzt reagieren, wenn der Partner sich mal zurückzieht oder nicht sofort antwortet.


3. Desorganisierter Bindungsstil

Dieser Bindungsstil geht meist auf sehr widersprüchliche oder traumatische Erfahrungen in der frühen Kindheit zurück. Nähe wird gleichermaßen gesucht und gefürchtet.

Typische Merkmale:

  • Ambivalente Beziehungsmuster: Der Wunsch nach Verbindung steht in ständiger Spannung zur Angst vor Nähe.

  • Misstrauen: Auch in stabilen Beziehungen ist das Vertrauen oft fragil.

  • Unvorhersehbares Verhalten: Nähe und Rückzug wechseln sich ab, häufig ohne erkennbares Muster.

  • Selbstschädigendes Verhalten: Beziehungen können instabil oder belastend verlaufen – manchmal auch wiederholt in ähnlicher Weise.

Beispiel:
Ein Partner zieht sich zurück, sobald sich Nähe aufbaut – nur um kurz darauf wieder intensive Nähe zu suchen. Für das Gegenüber ist dieses Verhalten oft schwer zu verstehen oder auszuhalten.


Warum es hilfreich ist, den eigenen Bindungsstil zu kennen

Viele Menschen erkennen ihren Bindungsstil erst im Laufe einer Beziehung – zum Beispiel, wenn Konflikte immer wieder ähnlich verlaufen oder bestimmte Gefühle immer wieder auftauchen. Ein unsicherer Bindungsstil bedeutet dabei nicht, dass eine glückliche Partnerschaft ausgeschlossen ist. Aber er kann erklären, warum bestimmte Dynamiken entstehen – und welche Schritte helfen könnten, daraus auszubrechen.

In einer Paarberatung oder Einzeltherapie kann es sehr entlastend sein, diese Muster gemeinsam zu betrachten. Oft entsteht dadurch ein neuer Blick auf sich selbst – und auf den Partner oder die Partnerin. Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen, sondern um ein besseres Verständnis für die eigene Beziehungsgestaltung.


Fazit

Unsichere Bindungstypen sind keine Seltenheit – und sie bedeuten nicht, dass Sie beziehungsunfähig sind. Sie zeigen vielmehr, dass Nähe, Vertrauen und Selbstwert zentrale Themen in Ihrem Leben sind. Diese zu erkennen und bewusst mit ihnen umzugehen, ist ein erster wichtiger Schritt zu erfüllenderen Beziehungen.

Wenn Sie sich in den beschriebenen Mustern wiederfinden, lade ich Sie herzlich ein, mit mir ins Gespräch zu kommen. In meiner Praxis für Paarberatung in Hamburg begleite ich Menschen dabei, alte Muster zu verstehen und neue Wege zu gehen – wertschätzend, lösungsorientiert und auf Augenhöhe.